- Erde: Die Vermessung unseres Planeten
- Erde: Die Vermessung unseres PlanetenSchon die Griechen der Antike haben Erdmessungen durchgeführt. So bestimmte Eratosthenes aus den Höhenwinkeln der Sonne in Alexandria und Syene (heute Assuan) und der Entfernung dieser Orte voneinander (850 km) den Erdradius. Da die Entfernung aus der Reisezeit von Kamelkarawanen (durchschnittlich 50 Tage bei einer mittleren Tagesleistung von 18,5 km) errechnet wurde, wäre sicher keine große Genauigkeit zu erwarten. Dass das Ergebnis dennoch bis auf 1 % richtig war, muss nicht unbedingt dem Zufall, wie gelegentlich behauptet wird, sondern könnte auch der Fähigkeit der damaligen Ingenieure zugeschrieben werden. Denn Eratosthenes soll auch Aufzeichnungen der ägyptischen Landmesser verwendet haben.Am Prinzip dieser Messung hat sich bis heute nichts geändert, auch wenn das moderne Instrumentarium ein ganz anderes ist. Man nennt solche Messungen Gradmessungen. Dabei kommt es darauf an, Teile von Meridianbögen zu messen und daraus den vollständigen Meridianbogen zwischen Pol und Äquator beziehungsweise den daraus ableitbaren Erdradius zu berechnen. Den gesamten Bogen kann man aus praktischen Gründen nicht messen. Um auch die Abplattung der Erde zu bestimmen, müssen mindestens zwei Bögen vermessen werden: einer in der Nähe des Pols, der andere in der Nähe des Äquators. Wegen der Abplattung ist der polnahe Bogen länger als der am Äquator.GradmessungenDie erste Gradmessung nahm der französische Arzt Jean Fernel 1525 auf dem Meridianbogen Paris —Amiens vor. Die Entfernung beider Orte beträgt 111 Kilometer, entspricht also genau einer Differenz der geographischen Breite von einem Grad. Seit dem 17. Jahrhundert wurden zahlreiche Gradmessungen durchgeführt. Um den aufgekommenen Streit über die wahre Gestalt der Erde — ob in Richtung der Rotationsachse verlängert (Jacques Cassini und andere französische Geodäten) oder verkürzt (Newton) — zu entscheiden, entsandte die französische Akademie zwei Expeditionen in möglichst extreme Breitenlagen, eine unter der Leitung von Pierre Louis de Maupertuis nach Lappland (1736—37) und eine unter Charles Marie de La Condamine und Pierre Bouguer nach Peru und Ecuador (1735—44). Durch deren Messungen konnte die Abplattung der Erde an den Polen einwandfrei bewiesen werden.Von besonderer Bedeutung war die dritte französische Gradmessung. Sie kam auf Beschluss der französischen Nationalversammlung 1791 zustande und hatte ein kulturgeschichtlich bemerkenswertes Ziel: Es sollte eine neue Längeneinheit eingeführt und einem würdigen Gegenstand entnommen werden, nämlich der Erde selbst. Das neue Maß sollte den zehnmillionsten Teil eines Meridian-Quadranten betragen und »Meter« heißen. Hierzu wurde in den Jahren 1792—98 von den Astronomen Pierre François André Méchain und Jean Baptiste Joseph Delambre ein Meridianbogen von Dünkirchen über Paris bis Barcelona vermessen. Aufgrund seiner großen Länge von 1065 Kilometer konnte auch die Abplattung bestimmt werden, indem man an mehreren Punkten Breitenbestimmungen vornahm.Wegen der Schwierigkeiten beim Ausmessen größerer Längen bestimmte man nur eine oder wenige kürzere Basisstrecken mit großer Präzision, die längeren Strecken jedoch durch Winkelmessungen an trigonometrischen Punkten; diese bildeten die Eckpunkte von Dreiecken, die sich als Kette längs des Meridianbogens erstrecken. Die Dreieckseiten hatten Längen von etwa 40 Kilometer und ergaben sich aus den Basisstrecken und den von den Dreieckseiten gebildeten Winkeln durch trigonometrische Rechnungen. An gewissen Punkten, den »Laplace-Stationen«, wurden astronomische Längen- und Breitenbestimmungen vorgenommen als Analogon zu den Höhenwinkeln der Sonne bei Eratosthenes.Neuere Gradmessungen wurden zum Beispiel zwischen Alaska und Feuerland, zwischen Hammerfest und Kreta oder zwischen Kairo und Kapstadt durchgeführt. Auch Teile von Breitenkreisen, wie etwa zwischen Brest und Astrachan oder zwischen Irland und dem Ural wurden vermessen, wobei bei Letzteren natürlich die Abplattung nicht erfasst werden konnte.Mit den modernen elektronischen Verfahren zur Längenmessung mit Radiowellen oder mit Laserstrahlen werden neben den Winkeln auch die Entfernungen bestimmt (Trilateration). Schließlich tragen die heute mit Zentimetergenauigkeit möglichen Entfernungsmessungen mittels Satellitengeodäsie und die radioastronomischen Messungen der VLBI (Very Long Baseline Interferometry) zur schnellen Steigerung unserer Kenntnis der Erddimensionen bei.Letztere Methode sei wegen ihrer großen Bedeutung nicht nur für die Messung der Erdfigur, sondern auch der Erdrotation kurz skizziert. Als Messgeräte dienen auf der Erde verteilte Radioteleskope. Damit werden die Laufzeiten von Radiowellen registriert, die von sehr weit entfernten Quellen, zum Beispiel von Quasaren, stammen und in Form praktisch ebener Wellenfronten über die Erdoberfläche streichen. Dabei müssen an den empfangenden Radioteleskopen mittels äußerst genauer Uhren die Radiosignale aufgezeichnet werden, denn die Entfernungen zwischen verschiedenen Radioteleskopen werden bestimmt durch Multiplikation der Lichtgeschwindigkeit mit der Zeitdifferenz, in der eine Wellenfront die Teleskope überstreicht.Um die Entfernungen mit einer Genauigkeit von ± 1 Zentimeter zu messen, dürfen die Uhren um nicht mehr als 10-10 Sekunden voneinander abweichen. Zwar haben Atomuhren eine Gangunsicherheit von nur 10-13 bis 10-14, doch ist ein direkter Uhrenvergleich unter den Uhren der verschiedenen Radioteleskope über Funk oder Uhrtransport nicht mit der geforderten Präzision möglich. Man hilft sich, wie in der Physik, Astronomie und Geodäsie üblich, mit einer Häufung der Messungen; dabei steigt die Genauigkeit mit der Quadratwurzel aus der Zahl der Einzelmessungen. Um die Genauigkeit um das Zehnfache zu steigern, müssen zum Beispiel hundert Einzelmessungen vorgenommen werden.Nicht nur die Entfernungsbestimmung wird dann um den Faktor 10 genauer, sondern es wird automatisch auch die Kenntnis der Uhrdifferenzen um den Faktor 10 verbessert. Man erreicht mit der VLBI tatsächlich Zentimetergenauigkeit.Abplattung der ErdeEins der ersten Ergebnisse der Vermessung der Satellitenbahnen war ein um drei Größenordnungen genauerer Wert für die Abplattung der Erde, als er sich aus den Gradmessungen mit 1 : 297 ergeben hatte; die oben erwähnte französische Gradmessung hatte noch einen viel zu kleinen Wert von 1 : 334 geliefert. Die durch die Abplattung verursachte Störung der Satellitenbahn ist ein globaler Effekt und führt auf einen repräsentativen Mittelwert. Dagegen sind die Meridianbogen-Messungen mit den lokalen Effekten der Lotstörungen behaftet, die durch die Massenunregelmäßigkeiten im Erdinnern entstehen. Die Abplattung der Erde bewirkt eine säkulare Wanderung der Bahnknoten und des Perigäums der Satellitenbahn und kann so genau erfasst werden, dass sogar Änderungen der Abplattung messbar sind. Diese betragen zur Zeit (—8,2 ± 1,8) · 10-19 pro Sekunde und sind ein Ausdruck für die noch andauernden Hebungen der während der letzten Eiszeit durch die Eisbelastung abgesenkten Landflächen auf der Nordhalbkugel. Der heute gültige Wert für die Abplattung ist 1 : 298,257. Bei einem Globus mit einem Durchmesser von 30 Zentimetern würde die Abplattung nur 1 Millimeter ausmachen.Theoretische ErdfigurInfolge ihrer Rotation plattet die Erde sich durch die Wirkung der Fliehkräfte ab wie eine flüssige Kugel. Würde die Erde nicht rotieren, so würde sie infolge ihrer Selbstgravitation eine Kugelgestalt annehmen wie jeder Himmelskörper, wenn er nicht rotiert. Allerdings wird man wohl kaum einen nicht rotierenden Himmelskörper antreffen, weil die Gas- und Staubmassen, aus denen diese sich verdichtet haben, im Allgemeinen turbulent sind und einen Drehimpuls haben, der bei der Verdichtung erhalten bleibt, und zwar unter zunehmender Drehgeschwindigkeit.Der Gedanke liegt nahe, dass eine einmal pro Tag sich um ihre Achse drehende quasiflüssige Erde die Form eines an den Polen abgeplatteten Rotationsellipsoids annimmt. Auch wenn das intuitiv einleuchtet, bedarf es einer mathematisch sehr anspruchsvollen Theorie der Gleichgewichtsfiguren rotierender Flüssigkeiten, um es zu beweisen; dies gelang erstmals Newton 1687. Dabei musste er allerdings voraussetzen, dass es sich um einen Körper homogener Dichte handelt. Tatsächlich ist die Erde aber geschichtet. Das macht das Problem schwierig, denn solche rotierenden Körper sind keine Ellipsoide. Durch eine geringfügige gedankliche Umverteilung der Erdmassen konnte jedoch erreicht werden, dass die Erdoberfläche als Rotationsellipsoid erscheint und, was sehr wichtig ist, gleichzeitig als Äquipotenzialfläche. Damit war eine sehr gute Näherungsfigur für die Erde geschaffen, natürlich unter Verwendung der bis heute vorliegenden Gradmessungen und Ergebnisse der oben geschilderten modernen Verfahren. Die Dimensionen dieses Ellipsoids wurden 1980 international festgelegt und können aus der Tabelle abgelesen werden. Alle Höhenangaben, auch die der Geoid-Undulationen, werden auf dieses Ellipsoid bezogen. Alle in der Tabelle mitgeteilten Zahlenwerte sind in sich »stimmig«, können also ineinander umgerechnet werden.Prof. Dr. Klaus StrobachWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Gezeitenkräfte auf der ErdeBachmann, Emil: Wer hat Himmel und Erde gemessen? Von Erdmessungen, Landkarten, Polschwankungen, Schollenbewegungen, Forschungsreisen und Satelliten. Thun u. a. 21968.Bauer, Manfred: Vermessung und Ortung mit Satelliten. Heidelberg 41997.Bialas, Volker: Erdgestalt, Kosmologie und Weltanschauung. Die Geschichte der Geodäsie als Teil der Kulturgeschichte der Menschheit. Stuttgart 1982.Defant, Albert: Ebbe und Flut des Meeres, der Atmosphäre und der Erdfeste. Berlin 21973.Seeber, Günter: Satellitengeodäsie. Berlin u. a. 1989.Sobel, Dava /Andrewes, William J. H.: Längengrad. Die illustrierte Ausgabe. Die wahre Geschichte eines einsamen Genies, welches das größte wissenschaftliche Problem seiner Zeit löste. Aus dem Amerikanischen. Berlin 1999.Strobel, Jürgen: Global Positioning System. GPS. Technik und Anwendung der Satellitennavigation. Poing 1995.
Universal-Lexikon. 2012.